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Philipp Mimkes in der BAYER-Hauptversammlung

enorm - Wirtschaft für den Menschen, Mai 2014

„Es braucht einen langen Atem“

Seit 30 Jahren informiert das Netzwerk Coordination gegen Bayer-Gefahren über Missstände rund um den Bayer-Konzern. Vorstand Philipp Mimkes zieht eine Zwischenbilanz zur Arbeit des Vereins

Herr Mimkes, ein Bestseller des Bayer-Konzerns ist Aspirin. Mal ehrlich: Haben Sie noch nie eine Tablette davon eingeworfen?
Doch, habe ich. Es sagt ja niemand, Aspirin sei nicht wirksam. Uns geht es darum, weltweit die Risiken und Probleme offenzulegen, die mit dem Wirtschaften eines Chemie- und Pharmakonzerns zusammenhängen – und das machen wir exemplarisch am Fall Bayer.

Was ist an Bayer schlimmer als an anderen Konzernen?
Es würde sich genauso lohnen, Unternehmen wie BASF, Siemens oder die Deutsche Bank unter die Lupe zu nehmen. Aber in 150 Jahren Bayer-Geschichte gab es nun mal unzählige Missstände und auch Verbrechen.

Was werfen Sie Bayer vor?
Bayer ist nicht nur ein Pharmakonzern, die Firma stellt auch Kunststoffe her, ist im Bereich Gentechnik aktiv und einer der weltgrößten Hersteller von Pestiziden. Mit diesem breiten Spektrum von Produkten geht auch eine Vielzahl von Risiken und Umweltschäden einher.

Zum Beispiel?
Zum Beispiel sind Pestizide von Bayer mitverantwortlich für das weltweite Bienensterben. Auch hat der Konzern jahrzehntelang Pestizide verkauft, die vor allem in Ländern des globalen Südens nicht sicher gehandhabt werden können. Trotz Todesfällen den Verkauf fortzuführen, ist ein Vorwurf, den wir Bayer machen.

Kennen Sie Fälle in Deutschland?
Die Hersteller von Polychlorierten Biphenylen, in erster Linie Monsanto und Bayer, kannten über Jahrzehnte hinweg die Gefahren dieser Stoffe. Dennoch wurde der Verkauf nicht eingestellt. Heute müssen Tausende PCB-kontaminierte Gebäude saniert werden. Die Kosten trägt die öffentliche Hand. Wir sind jedoch der Auffassung, dass Unternehmen für die Folgeschäden ihrer Produkte Verantwortung übernehmen müssen.

Mittlerweile legt auch Bayer Nachhaltigkeitsberichte vor. Heißt das, Ihre Kritik kommt an?
Konzerne bewegen sich in dem Rahmen, den ihnen die Gesellschaft setzt. Ein Unternehmen kann heute nicht mehr – wie noch in den 80er-Jahren – einfach auf das Betriebsgeheimnis pochen und alles geheim halten. Das ist ein Erfolg der Umweltbewegung insgesamt.

Woher beziehen Sie eigentlich Ihre Informationen?
Wir kooperieren mit Partnern aus rund 40 Ländern. Von einem Störfall in einem Werk in Kolumbien würde hier sonst wohl kaum jemand erfahren. Wir meinen, dass die Verantwortung für die Werkssicherheit oder den Ausstoß von Schadstoffen beim Vorstand liegt und solche Probleme daher auch in Deutschland publik werden sollten. Des weiteren stellen uns Wissenschaftler ihre Ergebnisse zu Verfügung. Mitunter werden uns auch anonym Infos aus den Werken zugespielt.

Ihr Verein ging aus einer Bürgerinitiative an Bayer-Standorten hervor. In 30 Jahren ist daraus ein internationales Netzwerk erwachsen. Was ist Ihr größter Erfolg?
Dass es uns noch gibt. Ende der 80er-Jahre zog Bayer gegen uns vor Gericht, weil der Konzern unsere Flugblätter als geschäftsschädigend ansah. Nach einem jahrelangen Zug durch die Instanzen entschied das Bundesverfassungsgericht 1991 schließlich zu unseren Gunsten. Es braucht häufig einen langen Atem – und großes Frustrationspotenzial.

Haben Sie jemals mit der Bayer-Chefetage gesprochen?
Wir vertreten mehrere hundert kritische Aktionäre auf den Hauptversammlungen und sprechen dort vor den Konzernchefs. Von daher kennen wir uns. Es wäre aber naiv zu denken, man könnte über einen persönlichen Kontakt Einfluss auf die Geschäftspolitik nehmen. Da entscheiden knallharte Profitinteressen.

Ihre Zeitschrift Stichwort Bayer erscheint nun seit 30 Jahren, anfangs noch als von Hand kopierter Rundbrief.
Inzwischen erhalten unsere 5300 Abonnenten viermal im Jahr ein 32-seitiges Heft plus Beilage. Zum Jubiläum haben wir alle Jahrgänge – das sind rund 130 Hefte – gratis online gestellt.

Trotz des großen Interesses an Ihrer Arbeit müssen sie inzwischen um Ihre Existenz kämpfen. Warum?
Da wir keine öffentliche Förderung erhalten, müssen wir jedes Flugblatt und jede Protestaktion über Spenden finanzieren. Doch auch als kleiner Verband zeigen wir, dass man einem scheinbar übermächtigen Gegner etwas entgegensetzen kann.

PHILIPP MIMKES, 46, ist seit fast 20 Jahren Vorstandsmitglied der Coordination gegen Bayer-Gefahren (www.CBGnetwork.org). Der Physiker sammelt und veröffentlicht hauptberuflich alles, was mit dem Bayer-Konzern zu tun hat.