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STICHWORT BAYER 04/2013

Merkel & Co. bei BAYER-Feier

Ergebenheitsadressen

Zum 150. Firmen-Jubiläum brachten Bundeskanzlerin Angela Merkel und NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft BAYER ihre Geburtstagsständchen. Dabei lobten sie den Konzern nicht nur „über den Klee“, wie die Nachrichtenagentur dpa befand, sondern hatten zudem noch ein besonderes Geschenk im Gepäck. Sie versicherten dem Konzern, sich bei der EU in Brüssel für den Erhalt der Ausnahmeregelungen zur Ökosteuer einzusetzen, die den großen Stromverbrauchern Millionen Euro an Energie-Kosten erspart. Standesgemäß versuchte der Leverkusener Multi auch sonst, Profit aus seinem Namenstag zu ziehen und begleitete ihn mit einer Unmenge von Werbe-Aktionen. „Wir wollen das Jubiläum nutzen, um den Namen BAYER auf der ganzen Welt noch bekannter zu machen“, hatte der oberste Öffentlichkeitsarbeiter Michael Schade als Devise ausgegeben.

Von Jan Pehrke

„Der BAYER-Konzern (...) hat eine beeindruckende Geschichte“, meint Bundeskanzlerin Angela Merkel. Zum unfeierlichen Anlass des 150-jährigen Firmen-Jubiläums hatte die Politikerin Mitte Juli 2013 ihren wöchentlichen Podcast dem Leverkusener Multi gewidmet und ihm bescheinigt, „pars pro toto für die gesamte chemische Industrie“ zu stehen. Auf der großen Geburtstagsparty in den Kölner Messehallen setzte sie ihre Laudatio dann fort und beschrieb die Unternehmenshistorie exakt aus der Perspektive der Chef-Etage als die eines unermüdlichen ForscherInnen-Dranges. „Die Tinte, mit der diese Erfolgsgeschichte geschrieben wurde, ist Innovation“, konstatierte Merkel. Darüber hinaus bestätigte sie dem Global Player, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soziale Verantwortung und Umweltbewusstsein vorbildlich miteinander in Einklang zu bringen. Und zum Abschluss ihrer Rede bedankte sich die Kanzlerin „dafür, dass BAYER mit seinem BAYER-Kreuz das ist, was es heute ist: ein weithin leuchtendes Aushängeschild Deutschlands“.
Eine ähnliche Ergebenheitsadresse steuerte die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft bei. Aber die beiden Damen zeigten sich der Aktien-Gesellschaft nicht nur in Worten, sondern auch in Taten gewogen. „Die Landesregierung will dazu beitragen, dass BAYER sich in Nordrhein-Westfalen wohlfühlt“, betonte Kraft. Ihre CDU-Kollegin zählte derweil all die kleinen Aufmerksamkeiten der Bundesregierung für BAYER & Co. auf: die Gesundheitswirtschaftskonferenz, das Rahmenprogramm „Gesundheitsforschung“, die Nationale Forschungsstrategie „Bioökonomie 2030“ und die erhöhten Bildungs- und Forschungsausgaben. „Wir arbeiten also an Rahmenbedingungen, unter denen Sie bei BAYER und andere Unternehmen im weltweiten Wettbewerb bestehen können“, resümierte die Bundeskanzlerin.

Ein besonderes Geschenk
Und dann brachten Merkel & Kraft dem Konzern noch ein besonderes Geschenk mit. Hatte ein BAYER-Sprecher sich noch kurz vor der großen Feier über die Pläne der EU beklagt, die sich auf 4,7 Milliarden Euro belaufenden Ökosteuer-Rabatte für die Industrie als unerlaubte Subventionen einzustufen und gewarnt: „Ohne die Sonderregelung für energieintensive Unternehmen könnten wir am Standort Deutschland nicht wettbewerbsfähig produzieren“, so versprachen die Politikerinnen in der Kölner Messehalle sogleich Abhilfe. „Deshalb – ich habe darüber mit der Ministerpräsidentin vor dieser Veranstaltung noch einmal gesprochen – werden wir auch in Brüssel entschieden dafür kämpfen, dass die Ausnahmeregelungen für die energieintensive Industrie weiterhin Gültigkeit haben, denn sie sind eine Voraussetzung für weltweite Wettbewerbsfähigkeit“, versicherte Angela Merkel dem Vorstandsvorsitzenden Marijn Dekkers.
Vergeblich hatte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) Angela Merkel vor der Veranstaltung in einem Offenen Brief aufgefordert, auch auf die Teile der BAYER-Geschichte zu sprechen zu kommen, die der Konzern in seinen eigenen Publikationen verschweigt. Aber weder die Produktion von chemischen Kampfstoffen oder die willige Hilfe für den NS-Staat noch die Pestizid-Vergiftungen oder die Schadstoff-Emissionen fanden in ihrer Rede Erwähnung. „Die beiden Top-Gratulantinnen übertrafen sich hinsichtlich des Lobs für den Konzern gegenseitig“, urteilte der Kölner Stadtanzeiger und sogar die Nachrichtenagentur dpa konstatierte, Merkel und Kraft hätten den Pharma-Riesen „über den Klee“ gelobt.
Mit diesen Ergebenheitsadressen stellten die beiden sich in die lange Tradition von PolitikerInnen unterschiedlicher Couleur, die stets in Treue fest zur Chemie-Industrie standen und immer wieder gerne zu Gast bei Freunden waren. So weihte Gerhard Schröder im Jahr 2000 BAYERs neues Pharma-Zentrum in Wuppertal ein und schützte die Branche wie heuer Angela Merkel vor drohender Unbill aus Brüssel. Erfolgreich bewahrte er BAYER & Co. vor einer umfassenden Einbeziehung in den Emissionshandel mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten. Auch die Chemikalien-Richtlinie, die den Unternehmen auferlegte, vorher niemals untersuchte Substanzen auf ihre Gefährlichkeit hin zu testen, weichte er auf. Und bei seiner Unternehmenssteuer-„Reform“ verließ der SPD-Politiker sich gleich auf einen Mann vom Leverkusener Multi. BAYERs ehemaliger Finanzchef Heribert Zitzelsberger wechselte als Finanzstaatssekretär nach Bonn und konzipierte das Gesetz, das den Konzernen Einsparungen in Milliarden-Höhe bescherte. Schröders Vorgänger Helmut Kohl hatte sogar Stallgeruch. Der CDUler begann als Chemie-Praktikant bei BASF, arbeitete lange als Referent der rheinland-pfälzischen Abteilung des „Verbandes der Chemischen Industrie“ und blieb diesem Industrie-Zweig auch in seiner Politiker-Zeit stets verbunden.

Dekkers’ Rundumschlag
Den Grundstein für BAYERs symbiotische Beziehung zur Macht hatte der ehemalige Generaldirektor Carl Duisberg schon in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts gelegt. „Wo wir einwirken können und müssen, das ist die Parteipolitik ... Was ist zur Durchsetzung unserer Gedanken notwendig? Geld“, hielt er fest und konstatierte: „Alle Schwierigkeiten lassen sich nur überwinden durch planmäßige Beeinflussung.“ Die Methoden haben sich inzwischen etwas geändert, aber ganz im Sinne des Altvorderen nutzte auch der jetzige BAYER-Boss Marijn Dekkers das öffentliche Interesse an dem Jubiläum zur einer solchen „planmäßigen Beeinflussung“. In seiner Geburtstagsrede geißelte er die Hindernisse, auf die der „Forscher-Geist“ von BAYER & Co. hierzulande oft stößt. Dabei hatte er wohl nicht zuletzt die „geniale Erfindung“, giftiges Kohlenmonoxid per Pipeline 67 Kilometer weit quer durch Nordrhein-Westfalen zu leiten im Sinn, der die Bevölkerung entlang der Trasse einen erbitterten Widerstand entgegenbringt. „Manchmal habe ich das Gefühl, dass so lange über die Risiken gesprochen wird, bis die Chancen komplett vertan sind“, meinte der Große Vorsitzende. Darüber hinaus monierte der Ober-BAYER, dass Erfindungen aus Deutschland häufig im Ausland statt im Inland zur Produkt- und Marktreife gelangen. „Können wir uns es wirklich leisten, dass die Wertschöpfung woanders stattfindet“, fragte Dekkers rhetorisch und schlussfolgerte: Wir müssen in den kommenden Jahren noch einen Zahn zulegen.“ In Interviews spitzte er diese Aussagen dann noch einmal zu und holte zu einem Rundumschlag aus. „Die Deutschen sind sehr, sehr konservativ. Man will Fortschritt, ohne etwas zu wagen, ohne etwas aufzugeben“, sagte er dem Handelsblatt.
Nicht einmal an seinem runden Geburtstag konnte der Leverkusener Multi ganz einfach nur feiern, das zeigte sich auch jenseits solcher Einlassungen immer wieder. Standesgemäß wollte er aus dem Jubiläum Kapital schlagen und demonstrierte auf diese Weise, was ihn statt des immer wieder gerne in den Vordergrund gestellten Forscherdranges wirklich antreibt: die Jagd nach Profit. „Wir wollen das Jubiläum nutzen, um den Namen ‚BAYER’ auf der ganzen Welt noch bekannter zu machen“, das hatte der Konzern-Kommunikationschef Michael Schade als Devise für das Jahr 2013 ausgegeben. Und so schickte das Unternehmen ein riesiges Luftschiff auf die Reise zu den einzelnen Standorten und konzipierte eine Schau rund um seine Leitmaxime „Science For A Better Life“, bei der sich zu jedem Buchstaben des „Claims“ scheinbar Wissenswertes zum Chemie-Multi finden ließ. Des Weiteren veranstaltete der Global Player in Berlin eine große Schau mit Werken aus seiner Kunstsammlung. Und an die wissenschaftliche Community denkt er ebenfalls: Für den Herbst kündigt der Gen-Gigant ein Symposion an.

Familien-Aufstellung
„Ein weiterer Fokus liegt auf der Einbindung und Aktivierung der 110.000 Mitarbeiter“, hält das Marketing-Fachmagazin BlachReport fest. Zu diesem Behufe spielte der Konzern am „Celebration Day“ sogar einmal „verkehrte Welt“. In Leverkusen stellte sich BAYER-Chef Marijn Dekkers persönlich hinter die Theke des BAYER-Kasinos und bediente die Beschäftigten. Auch ein Geschenk hatte der Multi für seine Belegschaftsangehörigen parat. Er bedachte sie mit einer Goldmünze, welche die Prägung „150 Jahre BAYER“ trägt. Allerdings hatte die Großherzigkeit Grenzen. So wollte die Aktien-Gesellschaft die KollegInnen der 60-prozentigen BAYER-Tochter CURRENTA leer ausgehen lassen. „Was das Geschenk angeht, so wurde entschieden, dass in Deutschland alle BAYER-Mitarbeiter ein Geschenk erhalten, die im Jubiläumsjahr 2013 bei BAYER bzw. einer 100-prozentigen Tochtergesellschaft von BAYER arbeiten“, erklärte der Global Player. Die Unternehmen der CURRENTA-Gruppe hätten dagegen zahlreiche eigene Regelungen und eigene Identitäten, die unabhängig von BAYER bestünden, legte er dar. Die Entscheidung des Pharma-Riesen löste einen Proteststurm aus. Deshalb lenkte er schließlich doch noch ein und beschenkte auch seine verstoßenen Kinder.
Der Vorfall zeigte, wie wenig der Konzern nach all den Jahren der profit-getriebenen Ausgliederungen und Umstrukturierungen selber noch weiß, wer überhaupt noch ganz, wer nur teilweise und wer gar nicht mehr zu ihm gehört. Trotzdem oder gerade deshalb inszenierte der Multi die Jubiläumsparty am 29. Juni in der Bayarena als die ganz große Familien-Zusammenführung. „Wir sind BAYER“, lautete das Motto des Mega-Events mit 30.000 ZuschauerInnen, welche das Stadion allerdings nicht ganz ausfüllen konnten. David Garrett hatte das Unternehmen als Stargast eingekauft. Guido Cantz und Anke Feller vom WDR moderierten die Show und baten Ehrenämtler, Geburtstagskinder und Paare, die sich beim Leverkusener Multi gefunden hatten, auf die Bühne. Höhepunkt des Events sollte die Formierung des BAYER-Kreuzes durch die BesucherInnen werden. So richtig eindrucksvoll geriet diese Familien-Aufstellung jedoch nicht, denn der Konzern-Schriftzug und die Losung „Science For A Better Life“ waren schon vorgegeben. Die Menschen hatten sich lediglich in den freien Segmenten dazwischen einzufinden und ihre Kärtchen mit den Konzern-Farben Grün und Blau hochzuhalten.
Wie es um das an diesem Tag viel beschworene Wir-Gefühl wirklich steht, formulierte ein BAYER-Pensionär in der WDR-Dokumentation „Die BAYER-Story“. Verbittert vor allem von den Kürzungen im Sportvereinsbereich, klagte er: „Das Unternehmen BAYER war ein Familien-Unternehmen, und das ist es heute nicht mehr. Heute ist es eine Holding-Gesellschaft geworden, die kauft und verkauft.“ Und zwar nicht nur Produkte, sondern auch Menschen, resümierte der ehemalige BAYER-Werker bitter.
Anders als Angela Merkel und Hannelore Kraft beleuchtete der Film die Unternehmensgeschichte kritisch und folgte darin der Linie nicht weniger Medien. Er brachte die Rolle des Konzerns im Faschismus ebenso zur Sprache wie seine Umweltsünden und gefährlichen Produkte. Als Kronzeugin für die dunklen Kapitel diente die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG). Axel Köhler-Schnura, der Aktivist der ersten Stunde, berichtete von den spektakulären Bootsprotesten auf dem Rhein gegen die Einleitung von Chemikalien in den Fluss und ordnete den Widerstand in eine lange Tradition ein, die beinahe ebenso alt ist wie die Firma selbst.
Davon konnte sich in der Sendung dann auch der BAYER-Aufsichtsratsvorsitzende Werner Wenning nicht ganz unberührt zeigen. „Ich glaube auch, dass sicherlich einiges, was von unseren externen Kritikern gekommen ist, bestimmte Abläufe noch einmal beschleunigt hat“, sagte er mit Verweis auf die Behebung der gröbsten Umweltsünden wider Wasser, Boden & Luft. Aber es handelte sich dabei dann doch um mehr als eine kleine Starthilfe, wie Axel Köhler-Schnura erläuterte: „Kein einziger Filter ist freiwillig eingebaut, keine einzige Umweltmaßnahme ist freiwillig, weil die nur Geld kostet und den Profit schmälert. Alles ist immer durch öffentlichen Druck erzwungen.“ Und dieser dürfte nach den Darlegungen Dekkers’ zum Wirken eines Chemie-Konzerns auch weiterhin nötig sein. „Wenn man neue Moleküle erfindet, dann macht man das, um irgendwie die Natur zu beeinflussen (...) Wenn man versucht, Pflanzen besser wachsen zu lassen, damit die Insekten die Pflanzen nicht aufessen, dann beeinflusst man die Natur. Und mit etwas Positivem kommt vielleicht auch etwas Negatives“, sagte der Vorstandsvorsitzende in „Die BAYER-Story“. Die Kunst sei dann, das Negative zu kontrollieren und das Positive wirklich nach vorne zu bringen, so Dekkers. Und gerade diese Kunst der Kontrolle beherrscht der Leverkusener Multi auch nach 150 Jahren noch nicht. Das zeigt nicht zuletzt das ständige aktualisierte Sündenregister, das die Coordination alle zwölf Monate zu den BAYER-Hauptversammlungen präsentiert.