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Primodos / Duogynon

9.Dezember

Umstrittener Schwangerschaftstest - Duogynon-Kläger fordert Aufklärung

Das TV-Magazin Klartext berichtet über den Duogynon-Prozess: http://www.rbb-online.de/klartext/archiv/klartext_vom_08_12/umstrittener_schwangerschaftstest.html

Das darin geführte Interview mit einem Sprecher von BAYER hat Loriot-Niveau:

Oliver Renner, Bayer Schering Pharma: „Für die Akteneinsichtnahme hat der Gesetzgeber ja ein Verfahren vorgesehen und genau daran halten wir uns selbstverständlich."
KLARTEXT: „Das ist Ihr juristischer Anspruch zu sagen: ‚Das ist verjährt, deswegen machen wir es nicht.‘ Aber man kann doch auch sagen, dass es so eine Art moralischen Anspruch gibt."
Oliver Renner, Bayer Schering Pharma: „Der Gesetzgeber - wie gesagt - hat das geregelt und genau an dieses Verfahren halten wir uns und wir warten jetzt auf die Entscheidung des Richters."
KLARTEXT : „Leisten Sie damit nicht auch noch Verschwörungstheorien Vorschub, wenn Sie sagen: ‚Nö, ist verjährt‘ und sich so sehr auf den juristischen Anspruch versteifen."
Oliver Renner, Bayer Schering Pharma: „Der Gesetzgeber, wie gesagt, hat diesen Rechtsweg vorgegeben, an den halten wir uns und wir warten auf die Entscheidung des Richters."
KLARTEXT : „Also, gibt es da keinen Spielraum eventuell schon allein aus Imagegründen zu sagen: ‚Ok, guckt in die Akten rein, da ist nichts dran.‘"
Oliver Renner, Bayer Schering Pharma : „Der Gesetzgeber hat dieses Verfahren vorgesehen, an das wir uns selbstverständlich halten, und der Richter wird das entscheiden und wir warten auf seine Entscheidung."

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Der vollständige Beitrag:

Mi 08.12.10 22:15

Umstrittener Schwangerschaftstest - Duogynon-Kläger fordert Aufklärung

Sie haben verstümmelte Glieder, offene Rücken, Gaumenspalten: Zahlreiche Eltern vermuten, dass diese Behinderungen ihrer Kinder auf die Einnahme eines Hormonpräparats zurückgehen, das bis Anfang der 80er Jahre von der Firma Schering vertrieben wurde - Duogynon. Selbst Jahrzehnte später läuft immer noch ein Prozess in Berlin - mit wenig Aussicht auf Erfolg. Allerdings geht es vielen gar nicht unbedingt um das Geld, als darum zu erfahren, was wirklich mit ihnen passiert ist. Die Pharma-Firma ist jedoch um Aufklärung nicht bemüht.

War es der Schwangerschaftstest Duogynon, der bei vielen Neugeborenen zu schweren Missbildungen führte? Betroffene fordern nun Klarheit vor einem Berliner Gericht. Angeklagt ist der Pharmakonzern Bayer Schering. Zwei mutmaßliche Opfer wollen erfahren, was das Unternehmen damals über die Risiken von Duogynon wusste - auch wenn das Präparat längst nicht mehr auf dem Markt ist. Iris Marx mit Hintergründen.

Das ist Wolf-Dietrich Molzow. Der 53-Jährige ist 1,25 Meter groß - seine Beine sind verkürzt, seinen rechten Arm kann er schlecht bewegen. Als seine Mutter mit ihm schwanger war, bekam sie von ihrem Arzt erstmals das Präparat Duogynon verabreicht. Seine drei älteren Geschwister sind gesund. Wolf-Dietrich Molzow meint, vor 20 Jahren den möglichen Grund erfahren zu haben, warum das bei ihm anders ist.

Wolf-Dietrich Molzow
„Die Sprechstundenhilfe dieses Arztes sagte meiner Mutter, als sie ihr mal so auf der Straße begegnete, fast im Vorübergehen: ‚Ach, das Aussehen ihres Sohnes, das ist doch auf die Gabe von Duogynon zurückzuführen.‘"

Duogynon - ein Hormon-Präparat, das ab 1950 unter anderem als Schwangerschaftstest in Deutschland eingesetzt wurde. Als Pille oder Spritze konnte der Test die Menstruationsblutung auslösen. Blieb die Regel weiter aus, galt die Frau als schwanger. Hersteller war der Pharmakonzern Schering.

Bedenken gegen die Einnahme von Hormonen gab es damals kaum. Ein erster Verdacht kam aber Ende der 60er Jahre auf: Britische Wissenschaftler beobachteten Missbildungen häufig bei Kindern, deren Mütter Duogynon eingenommen hatten. 1970 wurde das Mittel, das dort Primodos hieß, als Schwangerschaftstest verboten. In Deutschland passierte zunächst nichts.

Das ist André Sommer. Der 34-Jährige ist Lehrer in Süddeutschland. Er kam mit einer sogenannten Blasenextrophie auf die Welt - das Organ befand sich außerhalb des Körpers. Außerdem waren seine Genitalien verkümmert. Auch die Mutter von André Sommer hatte als Schwangerschaftstest das Präparat Duogynon bekommen. André Sommer ist auf einen künstlichen Blasenausgang angewiesen, er muss ständig medizinisch betreut werden.

André Sommer
„Das ist natürlich immer ein bisschen ein komisches Gefühl, dass es jemand sehen oder hören könnte. Zum Beispiel im Fußballstadion, wo ich das letzte Mal war und da stehen die Männer dann dicht an dicht, da ist es für mich schon ein komisches Gefühl."

Berlin vergangene Woche. André Sommer und Wolf-Dietrich Molzow auf dem Weg ins Landgericht. Sie kämpfen gegen den Pharmariesen Schering - heute Bayer Schering. Sie wollen wissen, ob Duogynon für ihre Missbildungen verantwortlich ist. Sie verlangen Einsicht in die Unterlagen von Bayer Schering: Was hat der Konzern damals wirklich gewusst?

1971: Erstmalig warnten in Deutschland einige Mediziner in der Fachpublikation „Arznei-Telegramm" vor der Einnahme von Hormonen während der Schwangerschaft, 1973 dann die konkrete Warnung vor Duogynon.

Wolfgang Becker-Brüser, Herausgeber „Arznei-Telegramm"
„In Großbritannien stand dann letztendlich auf der Packung drauf: ‚Nicht in der Schwangerschaft einnehmen.‘ Also, die Warnung der Einnahme während der Schwangerschaft und in den Beipackzetteln, in den Produktinformationen, gab es entsprechende Warnhinweise.“
KLARTEXT
„Wie war das zu der Zeit noch in Deutschland?“
Wolfgang Becker-Brüser, Herausgeber „Arznei-Telegramm"
„In Deutschland war man in der Mitte der 70er Jahre ein Entwicklungsland in dem Bereich. In der Roten Liste beispielsweise findet man überhaupt keinen Hinweis weder zu den Nebenwirkungen noch zu Warnhinweisen und man muss sagen, damals war die Rote Liste das wesentlichste Informationsinstrument für die Ärzte."

Schering glaubte nicht an einen Zusammenhang zwischen Duogynon und den Missbildungen. Es gab nur wenige Studien zu Verträglichkeit und Nebenwirkungen. Das Mittel wurde leicht verändert weiter vertrieben. Einige Ärzte gaben es sogar missbräuchlich als Abtreibungspille weiter.

Erst im Frühjahr 1978 nimmt Schering zumindest die Empfehlung „Schwangerschaftstest" zurück. Das damalige Bundesgesundheitsamt war noch langsamer: Es mahnte erst danach „größte Zurückhaltung" bei der Anwendung bei Schwangeren an.

Jetzt erst wurde das Thema öffentlich.

Tagesschau 10.11.1978
„Eltern, die gesundheitliche Schäden bei ihren neugeborenen Kindern auf die Einnahme des Präparates Duogynon zurückführen, haben sich zusammengeschlossen…"

Auch die Mutter von André Sommer gehörte zu den rund 200 Betroffenen Eltern, die damals nach Antworten suchten. Sie erstatteten Strafanzeige. Die wurde allerdings eingestellt - für Föten besteht noch kein Lebensschutz. Die Eltern geben ihren Kampf auf. Eine ausführliche öffentliche Untersuchung unterbleibt bis heute.

Erst 1981 nahm Schering das Produkt endgültig vom deutschen Markt.

Heute möchten die Betroffenen endlich wissen, was der Konzern gewusst hat. Doch Bayer Schering weist jeden Dialog zurück, weigert sich die Akten offenzulegen. Für Bayer Schering ist der Fall verjährt.

Oliver Renner, Bayer Schering Pharma
„Für die Akteneinsichtnahme hat der Gesetzgeber ja ein Verfahren vorgesehen und genau daran halten wir uns selbstverständlich."
KLARTEXT
„Das ist Ihr juristischer Anspruch zu sagen: ‚Das ist verjährt, deswegen machen wir es nicht.‘ Aber man kann doch auch sagen, dass es so eine Art moralischen Anspruch gibt."
Oliver Renner, Bayer Schering Pharma
„Der Gesetzgeber - wie gesagt - hat das geregelt und genau an dieses Verfahren halten wir uns und wir warten jetzt auf die Entscheidung des Richters."
KLARTEXT
„Leisten Sie damit nicht auch noch Verschwörungstheorien Vorschub, wenn Sie sagen: ‚Nö, ist verjährt‘ und sich so sehr auf den juristischen Anspruch versteifen."
Oliver Renner, Bayer Schering Pharma
„Der Gesetzgeber, wie gesagt, hat diesen Rechtsweg vorgegeben, an den halten wir uns und wir warten auf die Entscheidung des Richters."
KLARTEXT
„Also, gibt es da keinen Spielraum eventuell schon allein aus Imagegründen zu sagen: ‚Ok, guckt in die Akten rein, da ist nichts dran.‘"
Oliver Renner, Bayer Schering Pharma
„Der Gesetzgeber hat dieses Verfahren vorgesehen, an das wir uns selbstverständlich halten, und der Richter wird das entscheiden und wir warten auf seine Entscheidung."

Ein Beispiel für einen vertrauenswürdigen Umgang mit Verbrauchern liefert Bayer Schering damit nicht. Dabei ist es Zeit, endlich - 30 Jahre später - den Betroffenen Einsicht in die Akten zu gewähren, und ihnen Antworten auf alle Fragen zu geben.

Wolf-Dietrich Molzow
„Für mich persönlich sind Schadenersatzansprüche nur das Tüpfelchen auf dem ‚i‘. Aber das wichtigste ist wirklich, dass die Firma sich mal ihrer Verantwortung stellt und nicht rumeiert."

Das Urteil in diesem Fall wird im Januar nächsten Jahres erwartet.

Autorin: Iris Marx