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STICHWORT BAYER 04/2008

Bauern oder BAYER – wem gehört das Grundwasser?

Nächste Runde im Wasserstreit von Wacken

Der kleine Ort Wacken im schleswig-holsteinischen Landkreis Steinburg (Kreisstadt Itzehoe) ist heute eher durch das jährliche Heavy-Metal-Festival und natürlich den dazu gedrehten Dokumentarspielfilm „Full Metal Village” bekannt. Der seit mittlerweile 30 Jahren schwelende Streit um das Wasserwerk in Wacken und die Entschlossenheit einiger Betroffener, sich gegen eine Allianz aus Wirtschaftsinteressen, Verwaltungsapparat und willfährigen Gutachtern zur Wehr zu setzen, verdient aber mindestens dieselbe Wahrnehmung und Anerkennung (siehe SWB 1/06).

Von Thomas Kleineidam

Es ist inzwischen eingetreten, was schon 2005 abzusehen war: Dem Betreiber des Wackener Wasserwerks wurde die wasserrechtliche Bewilligung erteilt, aus den Brunnenfassungen Wacken und Pöschendorf auf die Dauer von 30 Jahren bis zu fünf Millionen Kubikmeter Grundwasser zu fördern1. Diese jährliche Fördermenge ist nach den Erfahrungen der vom Wasserwerksbetrieb geschädigten Landwirte und Hausbesitzer aber viel zu hoch.
Das Wasserwerk in der Gemeinde Wacken wurde im April 1977 in Betrieb genommen, um das Industriegebiet Brunsbüttel an der Elbe und hier vor allem den so genannten BAYER Industriepark2 mit hochwertigem und billigem Brauchwasser zu versorgen. Bereits im Sommer 1979 machten sich die Auswirkungen der Grundwasserentnahme bemerkbar. Die Pumpen in Haus- und Weidebrunnen zogen nur noch Luft, weil der Grundwasserspiegel so stark abgesunken war. Kleine Quellen versiegten und zehn Jahre zuvor verlegte Rohrdränagen blieben trocken. Die Trinkwasserversorgung brach teilweise zusammen und schleunigst wurden die Häuser ans Wasserwerk angeschlossen. Ab 1986 fielen an Gebäuden in mehreren Ortsteilen von Wacken Schäden in Form von Rissen auf.
Ein Zusammenhang zwischen dem Betrieb des Wasserwerks und der Verursachung von Schäden durch die Absenkung des Grundwassers haben die Wasserwerksbetreiber von Anfang an abgestritten. Viele Betroffene wehrten sich, stellten Entschädigungsanträge und Anträge auf Reduzierung der Fördermengen. Den meisten blieb im Laufe der Jahre die finanzielle “Luft” weg, sie scheuten die hohen und abschreckenden Gerichts- und Gutachterkosten, ließen sich von Drohungen einschüchtern oder konnten einfach nervlich die Verteidigung ihrer Interessen nicht mehr durchstehen.
Einer aber kämpft seit Anfang an, unterstützt von seiner Familie und wenigen Mitstreitern, um eine angemessene Kompensation der Schäden auf seinen Flächen und an seinem Hof sowie um eine Reduzierung der Fördermengen: Landwirt Hans Möller. Die Geschichte des Streits um das Wackener Grundwasser ist zum Teil der Lebensgeschichte der Familie Möller geworden.
Im Jahr 2004 lief die auf 30 Jahre erteilte Bewilligung zur Grundwasserentnahme ab. Daher hatte der Zweckverband Wasserwerk Wacken im Dezember 2003 den Antrag auf Neubewilligung der Grundwasserentnahme in Höhe von 6,2 Millionen Kubikmeter pro Jahr gestellt, davon sollten vier Millionen Kubikmeter aus den Wackener Brunnenfassungen kommen.
Im Erörterungsverfahren 2005 wurden 195 Einwendungen vorgebracht, davon 15 von Trägern öffentlicher Belange und acht Einzeleinwendungen von direkt Betroffenen. Gegenstand waren meist die Absenkung oberflächennahen Grundwassers und die daraus folgenden Gebäude- und Bodenschäden, die durch den Betrieb des Wasserwerks verursacht wurden. Das zuständige Landesamt für Natur und Umwelt des Landes Schleswig-Holstein (LANU) brauchte zwei Jahre, um die Einwendungen zu prüfen und zu einem Ergebnis zu kommen.
Die Bewilligung vom Juli 2007 liegt mit fünf Millionen Kubikmeter pro Jahr niedriger als die beantragten 6,2 Millionen Kubikmeter. Sie enthält Nebenbestimmungen, von denen einige als Teilerfolg gewertet werden können, wie etwa die Auflage, Bodensackungen und Gebäudeschäden zu untersuchen und in Kontrollmessstellen bestimmte Grundwasserstände nicht zu unterschreiten.
In den Erläuterungen zum Bewilligungsbescheid wird bestätigt, „ ... dass das ... geförderte Grundwasser zwar zu Trinkwasser aufbereitet wird, jedoch zu einem hohen Prozentsatz als Brauchwasser an die Industrie verkauft wird”3. Auch die von den Einwendern nachgewiesene mangelhafte Qualität der Umweltverträglichkeitsstudie und ihrer Rechenspiele wird amtlich bestätigt: „Darüber hinaus wird der Gesamtheit der hypothetischen Grundwasserneubildungsrate die Grundwasserentnahmemenge gegenüber gestellt und vorgerechnet, dass nur ein sehr kleiner Prozentsatz der Grundwasserneubildungsmenge für die Entnahme genutzt wird. Dieses ist irreführend.”
Sogar die Absenkung des oberflächennahen Grundwassers und die wichtige Rolle Hans Möllers für die Untersuchungen wird von Amts wegen bestätigt: „Im hydrogeologischen Gutachten wird darauf hingewiesen, dass auf Grund der geringen Datendichte ein Flurabstandsplan für die Gesamtheit des Einzugsgebiets des Wasserwerks nicht erstellt werden kann. ... In Teilbereichen ... ist dieses jedoch möglich, nicht zuletzt, weil hier auf Initiative des Einwenders H. Möller ... ein engständiges oberflächennahes Grundwassermessstellennetz betrieben wird. Das Phänomen der sinkenden Wasserstände ist ... am Beispiel der Messstellenstandorte 24 und 25 dargestellt. ... Diese Wasserstandstrends können nicht auf die Flurbereinigung in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts zurückgeführt werden, weil sich die Absenkungen sonst schon früher bemerkbar gemacht hätten. Außerdem reichen die Absenkungen unter Vorflutniveau. ... Der Abwärtstrend ist zweifelsfrei in mehreren Messstellen belegt. Er beträgt im Einzelfall bis zu 1,5 Meter. ... Es kommt hier also zu einer zusätzlichen Absenkung, die ihre Ursache nur in der Grundwasserförderung haben kann.”
Wer allerdings glaubte, nach solchen Erkenntnissen würde die Grundwasserentnahme eingeschränkt, wurde schnell enttäuscht. Die auf den ersten Blick positiv scheinenden Nebenbestimmungen erweisen sich bei näherer Betrachtung als unzureichend. So liegen die Grundwasserstände, die nicht unterschritten werden dürfen, bis zu fünf Meter unter denjenigen, die noch vor Beginn des Wasserwerksbetriebs vorherrschten, also viel zu tief, um Nachteile aus der Grundwasserförderung verhindern zu können. Auch die vorgeschriebenen Untersuchungen dienen nicht dazu, das tatsächliche Ausmaß aller Schäden zu erfassen. So heißt es im Bewilligungsbescheid klipp und klar: „Ziel dieses Bewilligungsverfahrens ist nicht, über etwaige Schäden, die aus dem vergangenen Vorhaben” – gemeint ist die Grundwasserförderung bis 2007 – „herrühren, zu befinden. Um zukünftige Schäden feststellen zu können, muss die derzeitige Ist-Situation dokumentiert werden” 3.
Im Prinzip heißt das nichts anderes, als dass die Betroffenen sich mit den bisher eingetretenen Schäden abzufinden und sie als „Ist-Situation” zum Zeitpunkt der Neubewilligung hinzunehmen haben. Dabei wird unterstellt, es sei möglich, bisher eingetretene und eventuelle zukünftige Schäden eindeutig auseinanderzuhalten. Das ist praktisch ausgeschlossen, weil die bisher eingetretenen Schäden niemals systematisch dokumentiert wurden. Diese technokratische Sichtweise mit der Festlegung eines Datums, an dem bestehende „Altschäden” von neu eintretenden Schäden getrennt werden sollen, hat mit den realen Vorgängen außerhalb der Amtsstuben nichts zu tun.
Das größte Problem ist aber die bewilligte Fördermenge. Alleine in den Wackener Brunnenfassungen dürfen drei Millionen der genehmigten fünf Millionen Kubikmeter gefördert werden. Nach den Erfahrungen von Hans Möller können dort aber nur 1,4 bis maximal zwei Millionen Kubikmeter entnommen werden, ohne die Böden, die Landwirtschaft auf diesen Flächen und Gebäude im Ort zu schädigen.
Folgerichtig haben Möller und andere Betroffene Widerspruch gegen den Bewilligungsbescheid eingelegt. Die amtliche Antwort kam am 19. Dezember 2007: Darin wird der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Im Bescheid an Hans Möller steht, „eine nachteilige Betroffenheit der Widerspruchsführer ist nicht zutreffend, da über die Nebenbestimmungen eine nachteilige Veränderung des Natursystems ... verhindert wird”4. So einfach geht das. Wenn die Behörde Auflagen zur Dokumentation möglicher zukünftiger Schäden macht, dann gibt es von vornherein gar keine Schäden.
Am 21. Januar 2008 hat Hans Möller zusammen mit sechs anderen Betroffenen Klage gegen das LANU und dessen Bewilligung beim Verwaltungsgericht eingereicht.
Als die Grundwasserentnahme in Wacken 1974 bewilligt wurde, hatten Betreiber und Bewilligungsbehörden an vieles gedacht. Aber dass es Betroffene geben werde, die sich seitdem gegen Schäden durch den Wasserwerksbetrieb ebenso wehren wie gegen die Verschwendung ihres guten Grundwassers durch Brunsbüttels Industrie – das haben sie wohl nicht erwartet. 30 Jahre geht das jetzt und ein Ende ist nicht abzusehen.

ANMERKUNGEN

1LANU: Bewilligung, Aktenzeichen 45-5201.11/61-107 vom 9. Juli 2007 (Wasserrechtlicher Bewilligungsbescheid auf den Antrag des Zweckverbandes Wasserwerk Wacken vom 15. Dezember 2003).
2http://www.brunsbuettel.bayer.de
3LANU: Bewilligungsverfahren Wasserwerk Wacken, Erläuterungen zum Bewilligungsbescheid, 20. Juni 2007.
4LANU: Bewilligung des Rechts zur Grundwasserentnahme durch das Wasserwerk Wacken, Widerspruch von Herrn Hans Möller vom 13. August 2007, Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2007.

Der vorstehende Artikel wurde entnommen aus der Zeitschrift Waterkant, ISSN 1611-1583, Heft 2 / 2008, Seite 24-25, im 24. Jahrgang Zeitschrift für Umwelt + Mensch + Arbeit in der Nordseeregion, herausgegeben vom Förderverein Waterkant (in Gründung), ehemaliges Mitteilungsblatt der AKTIONSKONFERENZ NORDSEE e. V. (AKN), Nachdruck mit Erlaubnis des Autors und der Redaktion.