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STICHWORT BAYER 04/2008

China, Dormagen, Brunsbüttel, Krefeld

Erweiterung der Phosgen-Produktion

Anfang Oktober kündigte der BAYER-Konzern an, die Herstellung der Kunststoffe Polyurethan und Polycarbonat auszuweiten. Hiermit verbunden wäre eine drastische Erhöhung der Produktion von Phosgen, einem tödlichen Atemgift. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN fordert BAYER auf, phosgenfreie Verfahren zur Serienreife zu bringen, um die Risiken für Anwohner und Belegschaft zu verringern.

von Philipp Mimkes

Der BAYER-Konzern kündigte Anfang Oktober an, in den Werken Dormagen und Brunsbüttel die Herstellung von Toluylendiisocyanat (TDI) stark auszuweiten. Im Werk Krefeld-Uerdingen will das Unternehmen zusätzlich die Produktion von Polycarbonat vergrößern. In Shanghai/China entsteht derweil eine komplett neue TDI-Anlage.
In Dormagen soll die TDI-Produktion auf jährlich 300.000 Tonnen verfünffacht werden, im Werk Brunsbüttel sollen statt 160.000 bis zu 400.000 Tonnen hergestellt werden. Beide Erweiterungen hat BAYER noch nicht bei den Behörden beantragt. Anders sieht es bei der TDI-Anlage in Shanghai aus, die auf eine Jahreskapazität von 250.000 Tonnen ausgelegt ist und sich bereits im Bau befindet.
Allerdings brach im November die Nachfrage nach Kunststoffen weltweit ein. BAYER reagierte mit der Ankündigung, die Investition in Brunsbüttel zu überprüfen. Momentan ist nicht abzusehen, welche Projekte die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise überstehen werden oder erst später realisiert werden.

Giftgasproduktion wächst
TDI ist ein Vorprodukt von Polyurethan, das u.a. in Schaumstoffen, Dämm-Materialien und Lacken verwendet wird. Polycarbonate werden bei der Herstellung transparenter Kunststoffe eingesetzt, u.a. für CDs und Wasserflaschen.
In der TDI- und Polycarbonat-Herstellung werden jährlich Zehntausende Tonnen Phosgen verwendet. Phosgen gehörte im 1. Weltkrieg unter dem Namen „Grünkreuz“ zur ersten Generation tödlicher Giftgase. Durch die geplanten Erweiterungen würde der Einsatz von Produktion entsprechend steigen. Die Phosgenproduktion gehört nach Atomkraftwerken zu den risikoreichsten Industrie-Anlagen in Deutschland.
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) und der BUND FÜR UMWELT UND NATURSCHUTZ (BUND) forderten den Konzern daher in einer Stellungnahme auf, phosgenfreie Verfahren zur Produktion von Kunststoffen zu entwickeln. Nur so ließe sich die Gefährdung der Anwohner und der Belegschaft verringern. Technisch wäre es möglich, Polyurethan auch ohne Phosgen herzustellen, BAYER hat entsprechende Verfahren jedoch nicht zur Produktionsreife entwickelt bzw. hat die notwendigen Patente nicht erworben. Im Fall von Polycarbonat werden phosgenfreie Anlagen sogar schon eingesetzt. Dennoch will BAYER in beiden Fällen weiter auf Phosgen setzen - bei einer Lebensdauer der Anlagen von bis zu 35 Jahren würde diese gefährliche Produktionsweise dadurch jahrzehntelang festgeschrieben.

Gefahr für Mitarbeiter
TDI ist giftig, stark ätzend und kann zu Lungenödemen und asthmatischen Erkrankungen führen. Ein ehemaliger BAYER-Arbeiter, der jahrelang TDI-Dämpfen ausgesetzt war und schwere Gesundheitsschäden erlitt, reichte Anfang Oktober Klage gegen BAYER ein.
Hinzu kommen die Störfall-Risiken: Im Jahr 1997 platzte in der Dormagener Polyurethan-Produktion ein Reaktor, zwölf Tonnen krebserregender Chemikalien spritzten bis über die Werksgrenze. Noch schlimmer betroffen waren die TDI-Anlagen im amerikanischen Baytown: 2004 und 2006 gab es schwere Explosionen, bei denen tonnenweise gefährliche Chemikalien austraten. 22 Arbeiter wurden verletzt, die Produktion musste monatelang eingestellt werden (siehe STICHWORT BAYER 4/2006). Die Wucht der Detonationen hätte durchaus auch Phosgenleitungen zerstören können.
Wie gefährlich die Phosgenproduktion für die Anwohner von Chemiewerken ist, zeigt eine worst case-Analyse des TÜV aus dem Jahr 1978: “Innerhalb der ersten zehn Sekunden nach dem Unfall würde jedes Lebewesen im Umkreis von einhundert Metern augenblicklich getötet. Da sich aber die Phosgen-Wolke sehr schnell über das Werksgelände hinaus ausbreiten würde, hätte der Gas-Ausbruch auch für weite Teile der Bevölkerung tödliche Folgen: Innerhalb einer halben Stunde wäre in einem Areal von 1,7 Quadratkilometern jeder Mensch einer Dosis ausgesetzt, die bei jedem Zweiten zum Tode führt. Das sind bei einer mittleren Bevölkerungsdichte wie zum Beispiel im Raum Köln über 2100 Personen. In der zweiten, sogenannten B-Zone, einem Gebiet von 6,75 Quadratkilometern wären die Bewohner (ca. 17.000 Personen) einer Dosisbelastung ausgesetzt, die zumindest im Einzelfall bereits zum Tode eines Menschen geführt hat. Die Folgen für die Betroffenen in der Region: anfänglich Hustenreiz, Brennen der Augen, Kopfschmerzen, Erbrechen, nach einigen Stunden dann Lungenödem” (zitiert nach: “Seveso ist überall - die tödlichen Risiken der Chemie” von Egmont R. Koch und Fritz Vahrenholt).

regelmäßige Produktionsausweitung
Die Kunststoff-Produktion im Krefelder BAYER-Werk wurde schon mehrfach erweitert, zuletzt im Jahr 2002 als die Herstellung von Polycarbonat und Polyurethan um 100.000 bzw. 24.000 Tonnen erhöht wurde. Allein mit dieser – verglichen mit den nun geplanten Erweiterungen kleinen – Produktionsausweitung ging eine Vergrößerung des Phosgen-Herstellung um rund 60.000 Tonnen pro Jahr einher. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung mit Beteiligung der Öffentlichkeit fand seinerzeit nicht statt. BUND und COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN hatten erfolglos nach dem Stand der Sicherheitstechnik, Notfallplänen und den Gefahren bei Flugzeugabstürzen gefragt. Vertreter von BAYER räumten gegenüber der Presse zwar ein, dass „Phosgen bei der Produktion von TDI eingesetzt wird, aber in sehr kleinen Mengen“ und zudem „just in time“ und „ausschließlich zum sofortigen Verbrauch“ erzeugt werde. Diese Darstellung ist jedoch verharmlosend: auf Nachfrage bekannte der Konzern, dass in Krefeld die Menge an „freiem“ Phosgen in Leitungen und Vorratsbehältern bei 34 Tonnen liege. Im worst case, einem Bruch phosgengefüllter Leitungen oder einem Flugzeugabsturz, wäre dies eine tödliche Bedrohung.
CBG und BUND fordern daher aktuell, dass es für die geplanten Erweiterungen keine Genehmigung „auf dem kleinen Dienstweg“ geben dürfe. Angelika Horster, BUND-Chemieexpertin: „Die Anwohner haben ein Recht auf Informationen, welcher Gefahr sie im Falle eines Störfalles ausgesetzt sind und wie sie sich vor dem Giftgas schützen können. Vor einer möglichen Erweiterung der Produktion muss daher eine Umweltverträglichkeitsprüfung mit Beteiligung der Öffentlichkeit durchgeführt werden.“ Dabei müsse auch untersucht werden, ob Phosgen überhaupt zum Einsatz kommen dürfe. Die Umweltverträglichkeitsrichtlinie der EU schreibt vor, dass auch bei Erweiterungen risikoreicher Anlagen ungefährlichere Alternativen, in diesem Fall phosgenfreie Verfahren, geprüft werden müssen.

Proteste in Taiwan
Ende der 90er Jahre wollte BAYER schon einmal in Fernost eine TDI-Anlage bauen. Die Regierung von Taiwan wollte das Projekt ohne lästige Sicherheits-Prüfungen durchwinken und gewährte großzügige Subventionen. Der Fall wurde jedoch zum Politikum, als örtliche Bürgerinitiativen mit Unterstützung der CBG auf die Risiken von TDI und Phosgen hinwiesen und ein reguläres Genehmigungsverfahren forderten. Nach monatelangen Protesten mit Tausenden von Demonstranten forderten die regionalen Behörden BAYER auf, eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen und phosgenfreie Verfahren zu prüfen. Der Konzern blies das Projekt daraufhin ab.
Kurz darauf gab BAYER den Bau eines neuen Werks in China bekannt. Die Fabrik bei Shanghai soll langfristig mit einer Jahresproduktion von 900.000 Tonnen Kunststoff den höchsten Ausstoß aller BAYER-Werke haben. Bereits 2006 wurde eine Polycarbonat-Anlage in Betrieb genommen, Ende Oktober kam eine Anlage für MDI dazu (MDI ist ein weiteres Vorprodukt von Polyurethan).
Renitente Lokalpolitiker und lästige Proteste von Anwohnern sind in China nicht zu erwarten. Im staatlichen Organ CHINA DAILY erschien gar eine Lobeshymne auf das „soziale Gewissen“ des Konzerns. Bei näherem Hinsehen stellte sich heraus, dass der Text von der BAYER-Öffentlichkeitsarbeit übernommen wurde. Ein Leserbrief der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, der auf die Risiken der BAYER-Produktion hinwies, wurde weder abgedruckt noch beantwortet.

BAYER droht
Der BAYER-Konzern nutzt die geplanten Erweiterungen auch, um Druck auf die Politik auszuüben: Die Investitionen hingen von den „Rahmenbedingungen“ ab, so BAYER-Sprecher Frank Rothbarth. Damit gemeint sind die umstrittene Kohlenmonoxid-Pipeline quer durch NRW sowie der Bau des Kohlekraftwerks im BAYER-Werk Uerdingen, das allein 4,4 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr erzeugen würde. Andernfalls drohe der Verlust von Arbeitsplätzen – eine schäbige Drohung angesichts der Tatsache, dass BAYER im Kunststoff-Sektor im vergangenen Jahr trotz eines Rekordgewinns von über einer Milliarde Euro rund 1.500 Stellen wegrationalisiert hat.
Unabhängig davon, ob die aktuelle Wirtschaftskrise die Erweiterung der Anlagen verzögern wird, muss der Druck auf BAYER erhöht werden, aus der Phosgen-Chemie auszusteigen und zumindest mittelfristig risikoärmere Verfahren einzusetzen. Die CBG hat im Umfeld der Werke Dormagen und Brunsbüttel Flugblätter verteilt, in denen auf die Risiken der Phosgen-Chemie hingewiesen wird. Die Grünen in Dormagen brachten auf Initiative der CBG einen Antrag in den Stadtrat ein, in der die Genehmigung der Produktionsausweitung auf Phosgenbasis abgelehnt wird. Auch in der kommenden BAYER-Hauptversammlung und in der staatlichen KOMMISSION FÜR ANLAGENSICHERHEIT wird das Thema auf Initiative der CBG diskutiert werden.