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Neonicotinoide

13. August 2008

Pestizide und Bienensterben - Informationen zur Strafanzeige der Coordination gegen BAYER-Gefahren gegen den BAYER-Vorstand

Seit 1991 stellt der Leverkusener BAYER-Konzern das Insektizid Imidacloprid aus der Substanzklasse der Neonicotinoide her. Neonicotinoide sind synthetische Nikotinverbindungen, die als Nervengift wirken. In Deutschland ist Imidacloprid unter den Markennamen Gaucho, Confidor, Chinook und Imprimo unter anderem im Raps-, Zuckerrüben-, Tabak-, Wein- und Maisanbau zugelassen.
Der jährliche Imidacloprid-Absatz in Deutschland liegt zwischen 25 und 100 Tonnen, genauere Angaben sind öffentlich nicht zugänglich. Über 1.000 Tonnen exportiert BAYER in rund 120 Länder. Im vergangenen Jahr setzte der Konzern mit Imidacloprid 556 Millionen Euro um. Die Substanz ist damit das bestverkaufte Pestizid von BAYER und gehört zu den weitest verbreiteten Insektiziden weltweit.
Neonicotinoide werden vornehmlich als Beizmittel zur Behandlung von Saatgut verwendet. Hierdurch soll zum einen die Saat vor Insekten geschützt werden. Zum anderen steigt der Giftstoff in die Pflanze auf und ist später in allen Pflanzenteilen zu finden. Schadinsekten sterben, wenn sie von Blättern oder Blüten fressen. Der Wirkstoff wandert auch in den Pollen und in den Nektar und kann Nutzinsekten wie Bienen schädigen.
Da der Patentschutz von Imidacloprid in den meisten Ländern abgelaufen ist, brachte BAYER im Jahr 2003 das ähnlich wirkende Nachfolgeprodukt Clothianidin (Produktnamen: Elado, Poncho) auf den Markt. Der Clothianidin-Umsatz betrug im vergangenen Jahr 237 Mio Euro. Der Wirkstoff wird vor allem im Mais- und Rapsanbau verwendet.

Bienensterben
Der Beginn der Vermarktung von Neonicotinoiden fällt mit dem Auftreten großer Bienensterben zusammen. Verlustmeldungen gab es in den vergangenen 13 Jahren unter anderem aus Italien, Spanien, der Schweiz, Deutschland, Österreich, Polen, England, Slowenien, Griechenland, Belgien, Kanada, den USA und Brasilien. Dabei waren bis zu 70 Prozent aller Bienenstöcke betroffen. Allein in Frankreich starben innerhalb von zehn Jahren rund 90 Milliarden Bienen. Die Honigproduktion sank dadurch um bis zu 60%. Da Honigbienen außerdem den größten Teil der Blütenbestäubungen erbringen, gingen auch die Erträge von Äpfeln, Birnen und Raps zurück.
Die Bienengefährlichkeit von Imidacloprid und Clothianidin ist unstrittig. Im Imidacloprid-Datenblatt des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) ist vermerkt: "Das Mittel wird als bienengefährlich eingestuft (B1). Es darf nicht auf blühende oder von Bienen beflogene Pflanzen ausgebracht werden; dies gilt auch für Unkräuter".
Neonicotinoide können zudem wegen ihrer hohen Persistenz mehrere Jahren im Boden verbleiben. Für Clothianidin wurden Halbwertszeiten von bis zu fünf Jahren beobachtet. Selbst unbehandelte Pflanzen, auf deren Feldern in den Vorjahren Imidacloprid oder Clothianidin eingesetzt wurde, können den im Boden befindlichen Giftstoff über die Wurzeln aufnehmen und eine für Bienen gefährliche Konzentration enthalten.
Wegen der Gefährlichkeit für den Bienenbestand hat die französische Regierung im Jahr 1999 den Einsatz von Imidacloprid zur Saatgutbeizung von Sonnenblumen verboten. Die Zulassung des Wirkstoffs als Beizmittel von Mais wurde 2004 aufgehoben. Auch das Nachfolgeprodukt Clothianidin erhielt in Frankreich keine Zulassung. Im Jahr 2000 wurde in den Niederlanden ein Verbot der Ausbringung von Imidacloprid auf freien Flächen verfügt. In der Schweiz wurde der Wirkstoff zeitweise auf Maisfeldern verboten.

Zulassung von Clothianidin
Im Jahr 2003 brachte der BAYER-Konzern in Nordamerika das Beizmittel Clothianidin auf den Markt, ab 2006 auch in Deutschland.
In einem Offenen Brief an das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) wies Manfred Hederer, Vorsitzender des Deutschen Berufs- und Erwerbs-Imkerbunds, schon 2006 darauf hin, dass die von BAYER behauptete Ungefährlichkeit von Clothianidin für Bienen auf einseitigen Studien beruhe ("Die von BAYER CropScience veröffentlichten Informationen beruhigen uns als Imker in keinem Fall. Im Gegenteil, die (schlechte) Qualität der Studien schürt den Verdacht, dass Clothianidin für unsere Bienen zu einer großen Gefahr werden wird. Wir sehen in Clothianidin und Thiomethoxam eine große Gefahr für die Gesundheit und das Überleben unserer Bienenvölker"). (1) Der Berufsimkerbund forderte die Bundesbehörden auf, die Zulassung von Clothianidin zurückzuziehen.

Auch die kanadische Zulassungsbehörde Pest Management Regulatory Agency bezeichnete die von BAYER eingereichten Studien als "mangelhaft", weswegen eine Gefährdung von Bienen befürchtet werde. Besonders hervorgehoben wurde die mehrjährige Verweildauer des Giftstoffes im Boden ("All of the field/semi-field studies, however, were found to be deficient (=mangelhaft) in design and conduct of the studies. Given the foregoing, the risk that clothianidin seed treatment may pose to honey bees and other pollinators cannot be fully assessed, owing to the lack of sufficient information and data. Clothianidin may pose a risk to honey bees and other pollinators, if exposure occurs via pollen and nectar of crop plants grown from treated seeds") (2).
Wie gefährlich Clothianidin eingeschätzt wird, zeigt auch eine Warnung der französischen Veterinärämter zu Frühjahrsbeginn: Darin rieten sie den Imkern eindringlich, mit ihren Bienenvölkern die Gebiete, in welchen das Gift eingesetzt wurde, für Jahre zu meiden. (3)

Bienensterben am Oberrhein
In Baden-Württemberg kam es im Frühjahr 2008 nach der Aussaat von Clothianidin-behandeltem Mais zum größten Bienensterben seit Jahrzehnten. Rund 700 Imker verloren ihre Bestände zum Teil oder ganz, insgesamt rund 11.500 Völker. Der Bestand wildlebender Insekten ging ebenfalls zurück. Nach Angaben des Landesverbandes Badischer Imker liegt der Verlust der betroffenen Imkers im Durchschnitt bei 17.000 Euro.
Nach Aussage des Bundesforschungsinstituts für Kulturpflanzen (Julius Kühn-Institut, JKI), das mit der Untersuchung des Bienensterbens betraut wurde, ist "eindeutig davon auszugehen, dass Clothianidin hauptsächlich für den Tod der Bienen vor allem in Teilen Baden-Württembergs verantwortlich ist". (4) In 66 untersuchten Bienen wiesen die chemischen Analysen des JKIs in 65 Fällen den Wirkstoff Clothianidin nach. Die Bienenschäden können laut Julius Kühn-Institut "nicht mit dem Auftreten von Bienenkrankheiten erklärt werden".

Zeugenaussage des betroffenen Imkers Fritz Hug
Fritz Hug aus Simonswald ist Nebenerwerbsimker. Seine 30 Bienenvölker im Auwald in Weisweil (Kreis Emmendingen) wurden direkt nach der Mais-Aussaat Ende April schwer geschädigt: Es leben fast keine Flugbienen mehr, die Flugbretter sind übersät mit toten Bienen. Auch die Brut hat keine Überlebenschance. Frisch verendete Bienen hatten den Rüssel ausgefahren, was ein sicheres Zeichen für eine Vergiftung ist.
Weitere 70 Bienenvölker von Herrn Hug wurden nach Beobachtung der ersten Schäden in andere Gebiete gebracht. Zu diesem Zeitpunkt waren rund 40-50% der Bienen verendet. Die Pollenwaben dieser Völker wurden vom Landwirtschaftsministerium eingesammelt und entsorgt.
Der monetäre Schaden von Herrn Hug beläuft sich auf mindestens 9000 Euro.
Alle Völker waren gut über den Winter gekommen, ein Milbenbefall kann für das Bienensterben nicht verantwortlich sein. Die Bienenstände befanden sich in der Nähe zahlreicher Mais-Äcker, die mit Clothianidin-gebeiztem Saatgut eingesät wurden. Das Julius Kühn-Institut is Braunschweig untersuchte tote Bienen von Herrn Hug und fand in diesen Clothianidin. Laut Aussage des Julius Kühn-Instituts kommt nur Clothianidin von BAYER für das Massensterben der Bienen in Frage.
Die Coordination gegen BAYER-Gefahren und Fritz Hug legten gemeinsam Strafanzeige ein.

Verbot in Deutschland
Durch das großflächige Bienensterben in Baden-Württemberg wurde die von BAYER-Vertretern stets vorgebrachte Aussage, dass Beizmittel wie Clothianidin und Imidacloprid nicht direkt mit Bienen in Kontakt kämen, widerlegt.
Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) reagierte und verbat am 16. Mai die Anwendung mehrerer Beizmittel, darunter Imidacloprid und Clothianidin, mit sofortiger Wirkung. Die betroffenen Mittel dürfen weder eingeführt, noch in Verkehr gebracht oder gar benutzt werden.
Auch in Italien und in Slowenien war es im Frühjahr nach der Aussaat von Mais zu großflächigen Bienensterben gekommen. In Slowenien wurde Clothianidin daher ebenfalls verboten. Auch in abgestorbenen Bienen in Italien wurde Clothianidin nachgewiesen.
Vertreter von BAYER versuchen, das Bienensterben als einmaligen Vorgang darzustellen, der auf einen fehlerhaften Abrieb der Wirkstoffe bei der Aussaat von Mais zurückzuführen sei. Dabei hatte Dr. Richard Schmuck von BAYER CropScience bei einem Expertengespräch des baden-württembergischen Landwirtschaftsministeriums am 8. Mai selbst eingeräumt, dass er auch bei einer ordnungsgemäßen Aussaat von Mais mit einem Abrieb von Clothianidin von 2g/Hektar rechne. (5)
Ein weiteres Problem stellt der im Sommer blühende Mais dar. Es ist zu befürchten, dass die Bienen durch den Clothianidin-haltigen Blütenpollen erneut geschädigt werden.

Studienergebnisse
Vertreter von BAYER argumentieren, "der Wirkstoff sei für Mensch, Tier und Natur völlig ungefährlich, wenn er sachgemäß verwendet werde". (6) Die Konzentration von Imidacloprid oder Clothianidin sei zu niedrig, um Bienen zu schädigen oder den Tod von Bienen zu verursachen. Diese Aussagen stehen jedoch im Widerspruch zu zahlreichen Untersuchungen:

· Im Auftrag des französischen Landwirtschaftsministerium erstellte das Comité Scientifique et Technique (CST) gemeinsam mit den Universitäten Caen und Metz sowie dem Institut Pasteur einen 108-seitigen Untersuchungsbericht zum Bienensterben in Frankreich. Darin wird festgestellt, dass die Verwendung von Imidacloprid für den Tod Hunderttausender Bienenvölker mitverantwortlich ist. So heißt es in der Zusammenfassung der Studie: "Die Untersuchungsergebnisse zu den Risiken des Saatgutbehandlungsmittels Gaucho (Wirkstoff: Imidacloprid) sind beunruhigend. In Bezug auf Bienensterblichkeit und Orientierungsstörungen von Bienen stimmen die Ergebnisse der Studie mit den Beobachtungen zahlreicher Imker in Regionen intensiver Landwirtschaft (Mais- und Sonnenblumenanbau) überein. Die Saatgutbehandlung mit Gaucho stellt ein signifikantes Risiko für Bienen in verschiedenen Altersstufen dar." Und weiter: "Was die Behandlung von Mais-Saat mit Gaucho betrifft, so sind die Ergebnisse ebenso besorgniserregend wie bei Sonnenblumen. Der Verzehr von belasteten Pollen kann zu einer erhöhten Sterblichkeit von Pflegebienen führen, wodurch das anhaltende Bienensterben auch nach dem Verbot der Anwendung auf Sonnenblumen erklärt werden kann" (7).

· Labor-Untersuchungen aus Frankreich belegen die schädigende Wirkung selbst geringster Dosen Imidacloprid auf Orientierungs- und Geruchssinn der Bienen. Selbst wenn eine Vergiftung nicht unmittelbar tödlich wirkt, können die Bienen derart geschädigt werden, dass sie nicht mehr zu ihrem Stock zurückfinden und den Fundort von Nektar nicht an andere Bienen weitergeben können. Französische Wissenschaftler bemängeln, dass die Empfindlichkeit von Bienen gegenüber Imidacloprid wesentlich (ca. 100 Mal) höher ist, als in deutschen Publikationen dargestellt wurde. Die in Deutschland vorgenommenen Untersuchungen wurden überwiegend von BAYER durchgeführt oder finanziert. (8)

· Untersuchungen fanden Spuren des Wirkstoffs in über 20% der untersuchten Blütenstaubproben - selbst in Pflanzen, die nicht behandelt worden waren und das Pestizid über den Boden aufgenommen hatten. Wurde Mais-Saatgut mit Imidacloprid behandelt, fand sich später in der Pflanze eine Pestizid-Konzentration von 5-12 ppb (parts per billion). Konzentrationen dieser Höhe können bei Bienen zu Orientierungs-Störungen führen.

· Im Jahr 2002 startete das Bieneninstitut Österreich gemeinsam mit dem Bieneninstitut Celle, der Biologischen Bundesanstalt (BBA) und der Firma BAYER einen Feldversuch. Zu Beginn der Rapsblüte wurden 10 Bienenvölker neben 60 Hektar Imidacloprid-gebeiztem Raps aufgestellt. 10 weitere Völker standen in 15 km Entfernung von 40 Hektar ungebeiztem Raps. Es wurde festgestellt, dass in den Imidacloprid-behandelten Feldern kein Rapspollen gesammelt wurde, bei den nicht-gebeizten Feldern hingegen in großem Ausmaß. Die Auswertung des Versuchs zeigte, dass es bei den Bienen unter Einfluss von Imidacloprid zu Orientierungsproblemen kam. Bienen, die mit einem gewissen Imidacloprid-Level belastet waren, waren nicht mehr im Stande, aus 500 m Entfernung in ihr Bienenvolk zurückzufinden. (9)

· Kanadische Studien zeigen, dass der Einsatz von Imidacloprid zu einer bedenklichen Grundwasserbelastung führt. (10) Im US-Bundesstaat New York wurde Clothianidin keine Zulassung erteilt, da eine Verunreinigung des Grundwassers durch das langlebige Pestizid befürchtet wird. (11)

Es besteht der dringende Verdacht, dass die verantwortlichen Manager der BAYER AG beim Verkauf giftiger Saatgutbeizmittel die Verluste an Bienenvölkern und den damit verbundenen wirtschaftlichen Schaden in Kauf genommen haben. Neben dem wirtschaftlichen Schaden liegt ein schwerer Fall von Umweltgefährdung vor. Die von BAYER bei den Zulassungsbehörden eingereichten Studien wurden offenbar derart angelegt, die Bienengefährlichkeit von Neonicotinoiden möglichst gering erscheinen zu lassen und Pestizid-Rückstände in gebeizten Pflanzen zu verharmlosen.

Anmerkungen
1 Siehe: http://www.cbgnetwork.org/2533.html
2 Siehe: http://www.pmra-arla.gc.ca/english/pdf/reg/reg2004-06-e.pdf
3 Clothianidin ist zwar in Frankreich nicht zugelassen, wurde aber von elsässischen Landwirten verwendet, die den Wirkstoff in Deutschland gekauft hatten
4 Presse Information des JKI: www.jki.bund.de/cln_045/nn_806762/DE/pressestelle/Presseinfos/2008/1006__AnalyseBienenschaeden.html
5 Die von BAYER empfohlene Menge beträgt 60g Clothianidin pro Hektar (http://xmedia.bayercropscience.de/pdf/200806171807173080799.PDF)
6 Siehe Artikel in der "Rheinischen Post" http://www.rp-online.de/public/article/leverkusen/575425/BAYER-zahlt-wegen-Bienentod.html
7 Siehe den vollständigen Bericht unter http://agriculture.gouv.fr/IMG/pdf/rapportfin.pdf
8 Siehe: Gesprächsprotokoll deutscher und französischer Bieneninstitute zum Thema "Imidacloprid und Bienenschutz" in Straßburg am 28.01. 2004
9 "Pestizid-Problematik: Schadet Imidacloprid den Bienen?" aus Schweizer Bienenzeitung 12/2003
10 CONTAMINATION DE L'EAU SOUTERRAINE PAR LES PESTICIDES ET LES NITRATES DANS LES RÉGIONS EN CULTURE DE POMMES DE TERRE, Ministère de l'Environnement, Gouvernement du Québec, 2003
11 Siehe EPA review "EFED Risk Assessment for the Seed Treatment of Clothianidin 600 FS on Corn and Canola", February 20, 2003